2013 | Echoes

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Kurzinterview mit dem Lektor Prof. Bossert

In diesem Jahr veranstalteten wir zum zweiten Mal einen Meisterkurs im Fach Orgel, den Sie geleitet haben. Könnten Sie bitte jemandem, der noch nie von solchen Kursen gehört hat, erklären, was dort vor sich geht?

In einem Orgelmeisterkurs geht es um die Interpretation von Orgelmusik auf möglichst hohem Niveau. Im Falle von Utery steht dafür eine historische Orgel der Barockzeit zur Verfügung, die in authentischer Weise restauriert wurde. Durch Exkursionen an andere Orgeln dieses Stils wird deutlich, welche klanglichen Eigenschaften sich dort ähnlich oder different verhalten. Damit adäquat umzugehen und so letztlich zu einem Erleben von Werk, Orgel und Kirchenraum als einer Einheit zu gelangen ist ein wesentlicher Aspekt eines solchen Orgelmeisterkurses.

Sie sind Professor für Orgel an der Hochschule für Musik in Würzburg. Wie sieht Ihre Spezialisierungsrichtung aus?

Als Orgelprofessor leite ich eine Orgelklasse, in der einerseits Orgel solo auf der Ebene von Bachelor, Master und Meisterklasse gelehrt wird, andererseits Kirchenmusik auf der Ebene von Bachlor und Master. Zudem gibt es Studierende im Pre-College. Von mir werden Kompetenzen in allen Feldern von Kirchenmusik sowie allen relevanten Stilbereichen der Orgelliteratur und ebenso der Improvisation erwartet. Zu meinen Spezialgebieten zählen:

  • Der Orgelkomponist Johann Ulrich Steigleder (1593 - 1635) im Kontext italienischer, deutscher und englischer Literatur;
  • süddeutsche Literatur im 17. und 18. Jahrhundert;
  • das Werk von Johann Sebastian Bach, für den ich eine gänzlich neue Theorie von 18 Werkeinheiten postuliere; damit meine ich, dass sich innerhalb großer Sammlungen und Gattungen der Musik für Tasteninstrumente, Violine, Violoncello, Viola da Gamba und Flauto traverso anhand zahlreicher gemeinsamer Merkmale, die ich Signaturen nenne, eine Vielzahl von Wechselwirkungen ergeben;
  • zu meinen weiteren Spezialgebieten gehören die Deutsche Romantik, Max Reger sowie unter den modernen Komponisten das Orgelschaffen von John Cage.

Weist Ihrer Meinung nach die Orgel in Úterý bestimmte Spezifika auf? Welche Art Musik ist für sie geeignet?

Die Orgel in Utery eignet sich in ganz besonderer Weise für einen Orgelmeisterkurs: Kirche und Raum bilden eine beglückende Einheit. Man kann dort absolut ungestört arbeiten. Alle einzelnen Klangfarben der Orgel werden von einer authentischen Balganlage gespeist und haben eine jeweils besondere und stets überzeugende Aussagekraft. Man kann die typischen Merkmale böhmisch-süddeutscher Registrierkunst dort exemplarisch erfahren. Eigenschaften wie Einmanualigkeit, kurze Oktav und geringer Pedalumfang sind dabei besonders lehrreich.

Besonders authentisch klingen in Utery daher die Werke des böhmischen, süddeutschen und mitteldeutschen Barock. Bisherige Schwerpunkte waren: Johann Caspar Ferdinand Fischer, Ariadne Musica; Georg Muffat, Apparatus Musico Organisticus; Johann Sebastian Bach: Choräle der Neumeister-Sammlung; Das Wohltemperirte Clavier.

Was kann Alte Musik oder Barockkultur als solche einem Menschen von heute geben?

Die Erfahrung einer inneren Stimmigkeit ist ein Wert an sich, der sich durch Utery als Ort, als Kirchenraum und als Orgel jedem Besucher unmittelbar erschließt. Von besonderem Interesse ist dabei die Erfahrung, welche oft kleinen Details letztlich wesentlich werden, um Stimmigkeit und Authentizität zu erzielen. Hinzu kommt ferner die Erfahrung, dass musikalische Werke, die einem längst vergangenen Zeitalter angehören, dann gegenwärtig und lebendig werden, wenn sie sich gleichsam von innen heraus neu mitteilen, weil sie nun gewissermaßen neu entdeckt sind.

Úterý ist eine kleine Gemeinde im westböhmischen Grenzgebiet. Kann sie den Teilnehmern des Orgelkurses etwas bieten?

Utery hat als Ort, eingebettet in die Wälder und Felder West-Böhmens, eine besondere Ausstrahlung. Ort und Landschaft atmen Schönheit, Stimmigkeit und Entspanntheit. Ich denke, dass diese Atmosphäre vor allem für Menschen aus anderen Ländern oder gar einem anderen Kulturkreis wie Korea, Japan oder USA - und von dort kommen ja auch manche Teilnehmer von Orgelmeisterkursen - von ganz besonderem Reiz ist.

Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Tätigkeit.

(Die Fragen stellte Ida Kaiserová.)


Stimmen von Teilnehmer

Der Kurs war für mich sehr bereichernd, vor allem der individuelle Unterricht mit Professor Bossert und seine Ratschläge für die Interpretation von Fischers Komposition. Die Theorie des Wohltemperierten Klaviers und der Ariadne Musica war, was die Aufmerksamkeit betrifft, sehr anstrengend und recht umfangreich. Sie bot mir die Möglichkeit, in ungeahnte musikalische Zusammenhänge vorzustoßen. Sicher würde ich das nächste Mal gern wieder an einem solchen Kurs teilnehmen.
(IP)

Der Meisterkurs im Fach Orgel in Úterý stellt eine sehr anregende Ergänzung zur Ausbildung von Berufsorganisten in den böhmischen Ländern und Mitteleuropa dar. Die bisherige Wahl von Prof. Bossert und seinen Kollegen aus Würzburg scheint mir sehr gelungen - (neben der notwendigen „handwerklichen“ Ausbildung der Teilnehmer) hilft ihre Auffassung, diese Region neu zu beleben und ein Bewusstsein über sie als spezifische "Orgellandschaft" zu schaffen, also eines Gebietes, das in den vergangenen Jahrhunderten eine spezifische Orgeltradition herausgebildet hat.

Vor allem der vergangene (2.) Jahrgang hat dann gezeigt, dass die bestehende Auffassung dieser Kurse darüber hinaus ein Potenzial für die Formulierung weiterer, bisher nicht reflektierter Interpretationsthemen generiert, die gerade von den regionalen Bedingungen der Orgelkultur ausgehen und die detailliert in den nächsten Jahrgängen des hiesigen Meisterkurses im Fach Orgel umgesetzt werden können.
(VA)

Ihr Orgelkurs hat mir sehr gefallen. Ich habe viel Neues gelernt, sowohl in der Theorie (Bachs Zahlensymbolik und die Verknüpfung des Wohltemperierten Klaviers mit den Neumeister-Chorälen), als auch in der Praxis (Technik des Orgelspiels, Orgelagogik und -musikalität). Meines Erachtens war aber zu viel Theorie dabei, ich hätte lieber mehr praktische Übungen am Instrument mit Prof. Bossert und Prof. Doležel gehabt. Doch auch trotz dieses Vorbehalts empfehle ich diesen Kurs allen Interessenten für Orgelmusik und das Orgelspiel.
(PV)

Der Inhalt des Kurses war ausgezeichnet (ganz zu schweigen davon, dass die gesamte Veranstaltung kostenlos war). Die Unterbringung erfolgte in interessanter Form (die kleinen Häuschen haben eine ganz eigene Atmosphäre) und die Gastgeber waren sehr offenherzig.
(IZ)

Ich habe wirklich mit Freude an Ihren Kursen teilgenommen. Für mich habe ich viel Neues entdeckt, vieles überprüft und Inspiration gewonnen. Die Gemeinschaft war toll, die Lektoren noch besser. Die Vorträge waren etwas anspruchsvoller, aber weil wir alle eingebunden waren, hatte dies einen stärkeren Effekt. Das Umfeld und die Veranstaltungsorte, dazu das schöne Wetter – einfach Klasse. Ich habe zwar gehört, dass die Lektoren wechseln werden – das ist zwar nützlich, aber manchmal sollte auch jemand wiederkommen.
(IB)

Der Kurs in Úterý hat mir den Blick auf die Wahrnehmung der Musik Fischers und Bachs geschärft und vertieft. Es ist faszinierend, mit welchen Mitteln diese Autoren komponieren konnten. Vieles entdeckt und bemerkt Prof. Christoph Bossert erst nach vielen Jahrzehnten. Ich habe besonders die Ariadne Musica ins Herz geschlossen. Das ist ein Werk, das mich immer wieder neu fasziniert. Zwanzig kurze Präludien und Fugen, zwanzig Tonarten, zwanzig verschiedene Gefühle... und die Ariadne begleitet uns von Anfang bis Ende. Wir haben eine einzigartige Woche in einem freundschaftlichen Orgelkollektiv und in einem ländlichen Umfeld verlebt, wo es in die Natur und in die Kirche zu nah ist. Zwar hat mit manchmal die Welle der Erkenntnisse, interessanten Entdeckungen und Zusammenhänge manchmal hinweggerissen, aber sie hat mir viel Gutes gebracht. Nicht zuletzt bewundere ich die Initiative der Ortsansässigen und schätze sie, durch die dieses einzigartige Projekt mit einem Potenzial für die nächsten Jahre entstanden ist. Vielen Dank.
(MP)